Das Hochkreuz in der Alte Rathausstraße
Das Hochkreuz in der Alte Rathausstraße
„Reinigen des Wegkreuzes mit Heißdampf, Vorbehandlung mit Grünbelagsentferner, Ersetzen von Fehlstellen an Rock und Fuß der Jesusfigur mit Steinersatzmörtel, Verfüllen von Rissen mit dispergierendem Weißkalk“, so liest sich in knappen Sätzen der Restaurationsauftrag aus dem Jahr 2015 für dieses Kreuz. Die Restauration davor fand 1992 statt. Es steht in der Alte Rathausstraße, unterhalb der Kapelle und stammt, laut der am Sockel befindlichen Inschrift aus dem Jahr 1888. Auch dieses Kreuz hatte einmal einen anderen Standort. Dieser befand sich nur wenige Meter entfernt in der Straßenmitte und hatte dort quasi die Funktion eines Fahrbahnteilers. Rechts vom alten Standplatz begann die Friedhofstraße. Geradeaus führte die Alte Rathausstraße in das Tiefgestade, wie dies auch heute noch der Fall ist. Hier stand in der Mitte dieses Kreuz. Eingefasst war es durch ein Pflanzenbeet. Durch die Friedhofstraße führten früher alle Beerdigungen. Damals wurden die Verstorbenen noch bis zum Tag der Bestattung in ihrem Wohnhaus aufgebahrt. Dort begann auch, nach der Trauerfeier, der Trauerzug, der schließlich über die Friedhofstraße zum Friedhof führte. Nachdem aber im Jahre 1958 die Leichenhalle gebaut worden war, wurde erst einige Jahre später von dort der heutige Weg direkt zum Friedhof angelegt. Wegen des Einbaus eines Regenrückhaltebeckens am bisherigen Standort des Kreuzes musste dieses versetzt werden.
Das steinerne Ensemble, das nunmehr genauer betrachtet werden soll, ist 370 cm hoch, 100 cm breit und wurde von Christina Schröder gestiftet. Über den Grund dieser Stiftung sowie über die Stifterin ist, wie bei vielen anderen derartigen Wegkreuzen, nichts mehr bekannt. Der helle Kalkstein, aus dem es vor über 130 Jahren hergestellt wurde, trägt im Juni 2021, gerade einmal sechs Jahre nach der letzten Restauration, bereits wieder an manchen Stellen einen deutlich erkennbaren Grünbelag. Das Bildmotiv gestaltet sich ähnlich dem vieler Hochkreuze in unserem Ort sowie im gesamten Landkreis. Am oberen Ende des Längsstammes findet sich zwar kein Engelskopf, stattdessen ist dort in Form einer angedeuteten Schriftrolle deutlich erkennbar das INRI eingemeißelt. Am Querbalken, der ebenfalls starke Verwitterungsspuren aufweist, sind jeweils links und rechts Engelsköpfe, deren Blick gen Himmel gerichtet ist. An ihnen lehnen sich die Arme bzw. die mit einem Nagel durchbohrten Hände des Gekreuzigten an. Sein Kopf liegt auf der Brust. Eine große Dornenkrone umrankt sein Haupt und die Augen sind geschlossen. Er ist mit einem Bart und schulterlangen, gewellten Haaren dargestellt. Ein einfach gefaltetes Lendentuch, an der rechten Hüfte geknotet, umschließt seinen Leib. Die Füße sind übereinandergelegt, ebenfalls von einem Nagel durchbohrt. Recht trotzig wirkt der Gesichtsausdruck des darunter befindlichen Engelskopfes. Als ob er bereits auf die Auferstehungsereignisse hinweisen wollte und uns sagen will: „Dies hier ist nur eine Zwischenstation. Euer Eindruck trügt. Er wird leben.“ Die tatsächliche künstlerische Absicht des Bildhauers hinsichtlich dieser Gestik lässt sich jedoch nur noch erahnen. Sehr traurig hingegen wirkt die Gottesmutter Maria, die unmittelbar unter Jesus steht. Ihr Blick ist nach oben gerichtet. Es scheint, als ob sie weint, ob des grausamen Schicksals ihres Sohnes. Die Hände sind gefaltet. Ein Tuch umhüllt den Kopf und scheint nahtlos in einen Mantel überzugehen, der fast bis zu den Füßen reicht. Sehr faltenreich ist ihr Kleid ausgearbeitet. Farbe vermisst man auf dieser Darstellung. Einzig die Natur hinterlässt mit dem bereits erwähnten Grünbelag ihre Spuren. Der schmale Sockel, auf dem die Marienfigur steht, trägt die Bitte: „Süßes Herz Maria, sei meine Rettung.“ Der große Sockel, auf dem das gesamte Kleindenkmal seinen Halt findet, wurde wie folgt beschriftet: „Oh ihr Alle, die ihr vorübergeht am Wege, haltet an und schauet, ob ein Schmerz ist, wie der meine.“ Er bezieht sich also auch deutlich auf die Gottesmutter, die damit zum eigentlichen Mittelpunkt der gesamten Ensembles wird. Als wäre es in erster Linie nur ihr gewidmet. Dies ist recht ungewöhnlich. Vermutlich war es aber die Intention der Stifterin, Maria in den Mittelpunkt zu stellen. Leider sind auch hier bereits erste Wortteile nur noch schwer zu entziffern. Ganz unten am Fundament, auf der Basis des Gesamtwerkes, wurde eingetragen: „Gestiftet v. Christina Schröder“. Das Kreuz befindet sich im Besitz der Gemeinde Bietigheim, ist aber hinsichtlich der Pflege in der vertraglich vereinbarten Obhut der Familie Hettel, auf deren Grundstück es heute steht. Fotos aus den Jahren um 1935, anhand derer die oben beschriebene Straßensituation noch sehr gut zu erkennen ist, finden sich auch in dem von Karl Rittler 2016 veröffentlichten „Bietigheimer Bilderbuch“, Seite 32 u. 44.
Text u. Bild: Hermann Schmitt